Unsere Sprache und ihre Entwicklung

Hochdeutsch“ wird häufig als Synonym für unsere Standardsprache verwendet. Es bezeichnet das Deutsch, das allgemein als „richtig“ und „dialektfrei“ angesehen wird. Die Sprachwissenschaft nennt dies Schriftdeutsch, Standarddeutsch oder genauer Standardhochdeutsch. In vielen Sprachen beruht die Standarsprache auf einem einzigen Dialekt, oft dem der Hauptstadt (etwa beim Französischen dem von Paris oder beim Englischen dem von London). Eine Standardsprache kann aber auch als „Kompromiss“ verschiedener Dialekte entwickelt worden sein. Die deutsche Sprache hat eine ganz eigene Geschichte der Standardisierung. Im Unterschied zu den europäischen Nachbarsprachen spielt eine frühzeitige schriftsprachliche Kompromissform eine zentrale Rolle.

Erfindung des Buchdrucks

Die Erfindung der Buchdruckpresse mit beweglichen Metalllettern von Johannes Gutenberg (um 1446) bringt einen revolutionären Wandel und eröffnete auch der Sprachentwicklung neue Perspektiven. Pergament konnte als Beschreibstoff durch billiges Papier ersetzt werden. Bücher waren jetzt preiswerter und erreichten einen viel breiteren Bevölkerungskreis als früher. Inhalte, die bis dahin Sache der Spezialisten gewesen waren, sind jetzt für eine breitere Menge von Menschen zugänglich.

Reformation

Bis ins späte Mittelalter wurden religiöse Texte, kirchliche Dokumente, akademische Werke und offizielle Schriften in Latein verfasst. Der Adel, die Mächtigen und die Kirchenoberen unterhielt sich auf leiteinisch. Einheitliches Deutsch gab es nicht. Stattdessen eine Vielfalt unterschiedlicher Dialekte. Man schrieb so, wie man sprach. Die Entwicklung einer einheitlichen deutschen Sprache bedurfte eines historischen Ereignisses mit tiefgreifenden Folgen für ganz Deutschland. Allgemein gilt die Reformation als Katalysator der Sprachnormierung. Das Medienereignis Reformation ist ganz wesentlich auf die Einbeziehung der volkssprachlichen Leserschaft zurückzuführen. Reformation und deutsche Sprache standen in fruchtbarer Wechselwirkung.

Bibelübersetzung

Martin Luther (1483-1546) lebte direkt an der Sprachgrenze zwischen Nord- und Süddeutschland. Seine Übersetzung des Neuen Testamentes ins Deutsche (1521/22) war ein wegweisender Schritt zu einer als Ausgleichssprache fungierenden deutschen Schriftsprache. Luther bevorzugte Wortformen ostmitteldeutscher und ostoberdeutscher Dialekte, die in geschriebener Form in vielen deutschsprachigen Gegenden gut verstanden wurden. Auch die sprachliche Vetrautheit mit der Meißner bzw. sächsischen Kanzleisprache beförderte die überregionale Verbreitung seiner Schriften.[1] Der Augustinermönch und Reformator war auch ein hervorragender Rhetoriker. Ihm gelangen Wortschöpfungen, die bis heute verwendet werden: „Lückenbüßer“, „Stein des Anstoßes“ oder „Lästermaul“. Durch den gerade erfundenen Buchdruck und mit dem Schwung der Reformation verbreitete sich seine Bibelübersetzung von 1522 und sein „Lutherdeutsch“ im ganzen Land.[2]

Sächsischen Kanzleisprache

Im protestantischen Norden, vor allem im Kurfürstentum Sachsen sowie in den brandenburgisch-preußischen Ländern wurde der sprachlichen Ausbau des Deutschen, den Luther begonnen hatte, weiter vorangetrieben. Sächsisch, genauer das Sächsisch Meißens entwickelte sich zu einer allgemeinen Ausgleichssprache. Die Sächsische Kanzleisprache trug Spuren des Lateinischen und wurde in den Kanzleien und Verwaltungseinrichtungen des Kurfürstentums Sachsen genutzt, um eine einheitliche und normierte Form der schriftlichen Kommunikation zu etablieren. Sie verbreitete sich schnell in den mittel- und niederdeutschen Regionen. Der deutsche Sprachraum war alsdann in zwei sowohl religiös als auch sprachlich verfeindete Lager zerfallen. Der „Josephinische Sprachenstreit“ mit der auf die Regierungszeit des deutschen Kaisers Maximilian I. zurückgehenden und im katholischen Süden angewandten „Maximilianischen Kanzleisprache“ wurde schließlich 1774 zu Gunsten der ostmitteldeutschen Schriftnorm beendet.

Schulen und Wissenschaft

Mit dem Aufkommen von Schulen und Bildungseinrichtungen im 16. Jh. war die Notwendigkeit einer einhetlichen Sprache für den Unterricht gegeben. Deshalb fallen in diese Zeit erste Versuche der Formulierung orthographischer Regeln. Zu nennen ist hier vor allem die Frage der Großschreibung der Substantive. Im 18. Jh. begannen Schulen und Universitäten eine standardisierte Form des Deutschen zu lehren. Wissenschaftliche Arbeiten wurden vermehrt auf Deutsch verfasst. Ab dem 19. Jh. erfasst das Schulsystem die gesamte Bevölkerung. Lehrbücher vermitteln seither die einheitlichen Sprachnormen.

Nationale Idendität und Reichsgründung

Das sich im 18. und 19. Jh. entfaltende nationale Bewusstsein förderte die Akzeptanz und Verbreitung einer gemeinsamen Schriftsprache als Ausdruck nationaler Identität. Nach der Gründung des deutschen Reichs unter preußischer Führung im Jahr 1871 sollen die geeinten Deutschen nun auch einheitlich schreiben. Darum wurden Initiativen entwickelt, im ganzen Reich eine einheitliche Rechtschreibung durchzusetzen.

Sprachpflege und Rechtschreibung

Die Regeln des Schreibens und der Grammatik schaffen Akzeptanz für eine deutsche Standardsprache. 1880 veröfentlichte Konrad Duden das Vollständige orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache. Auf der Orthographischen Konferenz von 1901 in Berlin wurde dann erstmalig eine gemeinsame deutsche Orthographie aller deutschsprachigen Staaten festgelegt. Das war die Geburtsstunde der Dudenredaktion, die seither dafür sorgt, dass der „Duden“ auch nach dem Tode seines Namensgebers die Sprachentwicklung des Deutschen regelmäßig nachvollzieht. Bis zur Rechtschreibreform im Jahr 2006 waren die Regeln, die der Duden vorgab, verbindlich. Mittlerweile ist es der Rat für deutsche Rechtschreibung, der ein verbindliches Regelwerk sowie ein aktualisiertes Wörterverzeichnis herausgibt.

Massenmedien

Zeitungen, die im 19. Jh. ihren Einfluss in dramatischer Weise ausweiteten, treiben die Gewöhnung an die Standardsprache voran. Der Rundfunk, dessen Reichweite sich seit Sendebeginn im Jahr 1923 dramatisch verbreitert, ist die erste regelmäßige Möglichkeit, sich hörend an überregional gesprochener Standardsprache zu orientieren. Das Fernsehen, das seit den 1950em das Leitmedium darstellt, zeigt die Sprache dann in verschiedenen Situationen, bei denen man die Sprecher auch noch interagieren sieht und nicht nur hört.

[1] Als Kanzleisprache wird die Sprachweise bezeichnet, die für amtliche Schriftsätze der höfischen sowie im Heiligen Römischen Reich auch stadtstaatlichen Kanzleien Verwendung findet. „Ich rede nach der sächsischen Kanzlei, der alle Fürsten und Könige in Deutschland nachfolgen; alle Reichsstädte und Fürstenhöfe schreiben nach der sächsischen und unseres Kurfürsten Kanzlei. Darum ist es die allgemeinste deutsche Sprache,“ erklärte Luther in einer Tischrede, der sich auf die Kanzlei seines Schutzherrn Kurfürst Friedrichs des Weisen in der Residenzstadt Wittenberg, damals Hauptstadt von Kursachsen, bezieht.

[2] 1523 machten Luthers Schriften etwa zwei Drittel der gut 900 in deutscher Sprache erschienenen Drucke aus. Schätzungen zufolge besaß bereits im Jahr 1533 jeder zehnte deutsche Haushalt eine Lutherbibel, wenig später war es jeder zweite.